08.10.2022

Jean-Gabriel Causse – Die unglaubliche Kraft der Farben

Von
Theorie

„Die unglaubliche Kraft der Farben“ von Jean-Gabriel Causse ist 2018 in 3. Auflage im Hanser Verlag München erschienen.

Das Buch stellt sich der Aufgabe Ordnung in das ausgedehnte Phänomenfeld der Farbwirkungen zu bringen. Das Ganze ist gut lesbar, wenn auch ein wenig salopp geschrieben. Causse setzt dort wieder ein, wo Goethe mit der „sinnlich-sittlichen Wirkung der Farben“ in seiner Farbenlehre aufgehört hatte. Aus zahllosen Einzeluntersuchungen der psychologischen Forschung  – das Quellenverzeichnis umfasst circa 200 Titel – zieht Causse wesentliche Ergebnisse zusammen, die die Wirkung der Farben auf unsere Befindlichkeit betreffen. Darin liegt der verborgene Schatz dieses Buches: es ermöglicht es einem selbst auf die Suche zu gehen. Erstaunlicherweise kommt Causse in seiner Schrift ohne eine einzige Abbildung aus. Das Bändchen kommt in seiner ganzen Aufmachung äußerst spartanisch daher.

„Die unglaubliche kraft der Farben“ dient bestenfalls als Einführung in das Thema Farbe und deren Wirkung im öffentlichen oder privaten Raum, wobei es sich auf die Betrachtung einzelner Farben in ihrer isolierten Wirkung beschränkt. Es richtet sich an Designer und Innenraumgestalter.  Themenfelder wie Farbkomposition und Farbharmonien / -disharmonien werden, wenn, dann nur am Rande erörtert. Für Künstler und Grafiker ist dieses Buch daher eher uninteressant. 

Der Einfluss von Farben auf unsere kognitiven Fähigkeiten, auf Kreativität und Produktivität, wird ausführlich betrachtet. Der Zusammenhang von Farbe und Macht wird beleuchtet. Das Feld der Synästhesien wird zunächst auf zwei bis drei Seiten abgehandelt um später unter verschiedenen anderen Überschriften immer wieder eingestreut zu werden. Gerade eine systematische Darstellung der  Zusammenhänge von Farbempfinden zu anderen Sinnesfeldern wäre für den Gestalter ungeheuer interessant gewesen. Naturgemäß nimmt der kommerzielle Aspekt der suggestiven Kraft von Farben einen großen Raum ein. Es scheint, dass auch ein großer Teil der Forschungen zum Thema Farbwirkung in diese Richtung geht. Farbe wird als wesentliches Mittel zur Erzeugung von konsumfördernden Atmosphären ausführlich beschrieben. Das Thema Farbwirkung in psychotherapeutischer oder allgemeinmedizinischer Hinsicht bleibt auffällig unterbelichtet.  Hier scheint auch das Forschungsinteresse auf wissenschaftlicher Seite gering zu sein. Farben zu Zwecken der Bedürfnissuggestion einzusetzen, wird in unserer Gesellschaft als legitim angesehen, offensichtlich aber nicht der Versuch sie zur Linderung verschiedener Krankheiten heranzuziehen. 

Im letzten Teil des Buches werden die aufgesammelten Forschungsergebnisse mit der fernöstlichen Gestaltungslehre „Feng Shui“ in Verbindung gebracht und einzelne Farben exemplarisch dargestellt. Hier stellt man fest, dass die Quellenangaben plötzlich auffällig versiegen, was auf eine relativ unkritische Auseinandersetzung mit diesem Thema schließen lässt. Das Quellenverzeichnis weist dazu genau einen einzigen Titel aus, einen Feng-Shui-Ratgeber über die Gestaltung des Eigenheims. Damit ist dieser Teil der Schrift eigentlich vollkommen entwerte.

Am Ende hat man eine Vielzahl von Wirkungsphänomenen der Farbe kennengelernt, bleibt aber dennoch seltsam unbefriedigt. Zum einen ahnt man, dass damit nur die Oberfläche eines viel tiefer reichenden und weit verzweigten Phänomen-Komplexes angekratzt wurde. Zum anderen fehlt es ganz eindeutig an einer übergeordneten Systematik, die das Feld der Farbwirkungen einerseits in sich gliedert und zum anderen dieses Feld in den umfassenderen Bereich aller Sinneseindrücke einzuordnen vermag. Ich vermute, dass das nicht zuletzt dem chaotischen Wildwuchs der psychologischen Forschung selbst geschuldet ist. Causses „Die unglaubliche Kraft der Farben“ bleibt so letztlich ein Versprechen, dass durch das Buch nicht eingelöst werden kann.