08.07.2022

Peter Zumthor – Atmosphären

Von
Theorie

Peter Zumthors Essay “Atmosphären. Architektonische Umgebungen – Die Dinge um mich herum” ist 2006 beim Birkhäuser Verlag in Basel erschienen. Der Text basiert auf einem 2003 im Rahmen des Literatur- und Musikfest Ostwestfalen-Lippe gehaltenen Vortrag. Es handelt sich um eine schön gestaltete, in Leinen gebundene, sehr bibliophile Ausgabe. Der Autor und die Herausgeber legen größten Wert auf die Verarbeitung des Bändchens, nicht allein was die Optik – Schriftsatz und zahlreich hochwertige Abbildungen – betrifft, sondern auch die Haptik – Einband und Papier. Schließlich geht es um „die Dinge um mich herum“. Ein solches Ding, dem große Aufmerksamkeit geschenkt wurde handelt es sich bei diesem Buch.

Es geht um architektonische Qualität. Was ist es, das Architektur ausmacht? Was ist das „quale“, das Wie-sein unserer gebauten Umgebung und was hat es damit auf sich? Wie ist Architektur und wie ist sie im Verhältnis zu uns? Wie bestimmt Architektur dieses Verhältnis?

In neun kleinen Kapiteln versucht Zumthor dem Geheimnis der architektonischen Wirkung auf die Spur zu kommen. Sie widmen sich verschiedenen Themenfeldern. Dem „Körper der Architektur“, also der Architektur, die wir leiblich erfahren. Dann dem „Zusammenklang der Materialien“, denn Architektur ist immer ein Gefüge verschiedener Stoffe. Weiter dem „Klang des Raums“, jeder architektonische Raum bringt seine eigene Akustik mit sich. Das vierte Thema ist „die Temperatur des Raums“, damit ist nicht die Gebäudetechnik gemeint, sondern das synästhetische Erleben der Atmosphäre, die sich irgendwie warm oder kalt anfühlt, so wie wir von warmen Farben oder warmen Klängen sprechen. Fünftens widmet sich Zumthor den „Dingen um mich herum“, es gibt nicht allein die Architektur, sie ist nur ein Ding unter vielen, vielleicht ein besonderes, weil sie von anderen Dingen erfüllt ist, diesen ihren Raum gibt. Im Weiteren geht es um „Gelassenheit und Verführung“, das will sagen, die Dinge lassen uns sein oder aber sie üben eine Suggestion auf uns aus, ziehen uns an, stoßen uns ab, lassen uns kalt, verführen uns, oder geben uns frei. In manchen Dingen ist etwas seltsam Aktives, obwohl wir doch zu denken gewohnt sind, dass die Dinge reine Passiva sind, nur so daliegen und warten, bis wir etwas mit ihnen machen. Der Mensch als Macher und die Dinge als das Gemachte. Aber ist das wirklich so? Machen nicht vielmehr die Dinge auch etwas mit uns? Unter Siebtens spricht Zumthor über eine der Grundspannungen in der Architektur, den Gegensatz „zwischen innen und außen“. Der Weg hinein ist niemals derselbe, wie der Weg hinaus. Das Innen bleibt immer das Innen, egal ob ich im Gebäude bin oder davor. Daraus leiten sich für die Architektur achtens „Stufen der Intimität“ ab. Es gibt Grade der Innerlichkeit in der Architektur. Das letzte Themenfeld ist „das Licht auf den Dingen“. Die atmosphärische Qualität von Lichtstimmungen ist uns sofort, ohne weitere Begrünung, evident.

Architekturen versteht Zumthor als konkrete Umgebungen, als etwas, das einen ganz -oder doch teilweise – umgibt, umfängt und das man irgendwie dann auch mit sich trägt, zumindest in der eigenen emotionalen Erinnerung. Architekturen haben etwas prägendes. Wir haben ein untrügliches Gespür für unsere Umgebung, insbesondere haben wir ein Gespür für ihre Stimmigkeit. Diese Stimmigkeit des Gebauten bewahrheitet sich einerseits in der ästhetischen Erfahrung, andererseits aber auch im Gebrauch. Hier vereinen sich gewissermaßen Funktion und Ästhetik. Erst aus diesem Zusammenspiel der oben genannten Themenfelder der Architektur ergibt sich – zwanglos – ihre Form.

Peter Zumthor ist einer der bedeutendsten Architekten der jüngeren Moderne. Wie sich zeigt, ist er auch einer der am meisten reflektierten Kollegen. Zumthors Schriften sprechen aus der Tiefe der Erfahrung über grundlegende Wesenszüge des Architektonischen.